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Jean-Yves Blondeau, der Rollermann | © RATHGEBER GmbH & Co. KG
Jean-Yves Blondeau, der Rollermann | © RATHGEBER GmbH & Co. KG
ERFINDER
Jean-Yves Blondeau

Der 45-Jährige studierte an einer Elite-Uni in Paris, der Roll Suit war Teil seiner Diplomarbeit.

INTERVIEW

„Ich wollte nie aussehen wie ein Superheld“

Jean-Yves Blondeau rast in einer rollenden Rüstung Passstraßen und Bobbahnen hinunter. Ein Gespräch über Hollywood, Verkehrskontrollen und RATHGEBER-Sticker.

Herr Blondeau, sind Sie ein großer Fan von Superhelden?

Eigentlich nicht. Als Jugendlicher liebte ich zwar Comics, aber weniger die amerikanischen. Ihr Zeichenstil gefiel mir nicht, ihre Handlung und Charaktere fand ich langweilig.

Ist Ihnen bewusst, dass Sie in Ihrem Anzug wie eine Comicfigur wirken?

Ja. Und als ich das zum ersten Mal realisierte, war ich ziemlich enttäuscht. Ich hatte meinen ersten Prototypen 1994 gefertigt. Während ich in dem Anzug steckte, hatte ich keine Vorstellung davon, wie ich aussah. Ein paar Tage später hielt ich Fotoabzüge in den Händen – und war schockiert. Es verschlug mir die Sprache, denn ich wollte nie aussehen wie ein Superheld. Ich betrachtete meine Schöpfung wie ein Vater seinen missratenen Sohn, der nicht das macht, was Papa will, sondern seinen eigenen Weg geht.

Was war Ihr ursprünglicher Plan, als Sie den ersten Roll Suit entwickelten?

Ich war Student an der École Olivier-de-Serres in Paris, einer der wichtigsten französischen Schulen für Industriedesign. Der Anzug war Teil meiner Diplomarbeit. Ich wollte etwas kreieren, das völlig neu war. Kein Möbel oder Auto.

Wovon handelte die Diplomarbeit?

Vom Zusammenhang zwischen den Bewegungen des menschlichen Körpers und den Emotionen und Wahrnehmungen, die dabei entstehen. Ich befragte unter anderem zahlreiche Profisportler, um herauszufinden, was ihnen Vergnügen und Glücksgefühle bereitet, während sie ihren Sport ausüben. Mein Ziel war, neue Möglichkeiten der Bewegungen zu entdecken, die sehr starke Gefühle auslösen würden. Der menschliche Körper ist zu viel mehr fähig, als die meisten Sportarten ihm abverlangen. Es gibt große Lücken, in denen niemand arbeitet. Eine dieser Lücken wollte ich füllen.

„Es sind Gefühlsexplosionen, die sich im Kopf abspielen. In jeder Sekunde strömen Tausende Informationen auf dich ein.“

Und so erfanden Sie ein Konzept, das den gesamten Körper in eine Art Fahrzeug verwandelt?

Ja, ich wollte eine Maschine entwickeln, mit der man sich in allen möglichen Positionen auf dem Boden fortbewegen kann. Dabei wollte ich nah am Körper bleiben, dem Menschen seine Identität lassen und auf seine natürlichen Bewegungen setzen. Nach neun Monaten Forschung begann ich mit den ersten Zeichnungen. Meinem Professor war das Konzept wichtiger, aber für mich als Designer sind Ideen wertlos, wenn sie nicht Realität werden. Deshalb baute ich auch den Prototypen.

Welche Note bekamen Sie?

Eine gute. Ich bestand mein Diplom, was an dieser Schule nur wenige schaffen.

Haben Sie sich inzwischen mit Ihrem missratenen Sohn angefreundet?

Ich musste sein Potenzial erst entdecken. Dabei halfen mir auch die japanischen Mangas, die in den 90er-Jahren in Frankreich populär wurden und deren Handlung vielschichtiger ist als die von amerikanischen Comics. Ein oder zwei Jahre nach meinem Prototyp kam ein Manga namens „Gunnm“ auf den Markt. Die Heldin hat einen menschlichen Kopf und den Körper eines Roboters. In Folge sechs kommt es zu einem Rennen, in dem ein Cyborg auf dem Rücken rollt und erstaunliche Tricks vorführt.

Kannten Sie den Autoren?

Nein! Es war ein unglaublicher Zufall. Fast zur gleichen Zeit hatten ein Manga-Macher und ich die exakt gleiche Idee. Mit dem Unterschied, dass er in Japan eine Geschichte daraus konstruierte – und ich in Frankreich einen Anzug.

Sie rasen in Ihren neuen Modellen mit 80 km/h Passstraßen hinunter – wie fühlt sich das an?

Hanabi! Das ist das japanische Wort für Feuerwerk. Es sind Gefühlsexplosionen, die sich im Kopf abspielen. In jeder Sekunde während einer Fahrt strömen Tausende Informationen auf dich ein. Und zwar auf einem besonderen Weg: Normalerweise stehen Menschen auf den Füßen, deshalb sind wir es gewohnt, dass Empfindungen durch die Beine und Wirbelsäule ins Gehirn aufsteigen. Wenn ich ein paar Zentimeter über dem Asphalt dahingleite, gehen die Eindrücke dagegen direkt in den Kopf. Oder sie kommen von den Ellenbogen, den Knien, der Brust. Über die Rollen am Brustkorb spüre ich den Grip, wenn ich durch Kurven drifte. Jede Körperregung ist wichtig. Ähnlich wie bei einem Surfer, der eine Welle reitet oder einem Skifahrer, der plötzlich den perfekten Schnee fühlt. Im Roll Suit habe ich ein Gefühl von Perfektion – mit Eindrücken, die von überall auf mich einströmen.

Sie stehen nicht auf dem Ski, sie sind der Ski?

Ja, so ähnlich. Es ist fantastisch.

Wenn man Sie fahren sieht, hat man allerdings den Eindruck, dass Sie sich eher unnatürlich, robotorhaft bewegen.

Das stimmt, man muss jede Bewegung planen und ganz exakt ausführen.

Gefühlsfeuerwerk im Kopf und gleichzeitig kühl kalkulieren – ist das nicht wahnsinnig anstregend?

Nicht, wenn man die Technik beherrscht. Dann ist es genau das, was das Erlebnis so spannend macht. Das Gehirn schaltet in einen völlig ungewöhnlichen Modus um, es arbeitet viel schneller als in normalen Situationen – und das ist ein gigantischer Moment. Wissenschaftlich ausgedrückt: Man erlebt Zeitkompression und Raumverzerrung. Während der Fahrt verwandelt man sich in eine Art Cyborg: halb Mensch mit großen Emotionen, halb Roboter, der alles genau vorausberechnet.

Wie schwer ist es für Anfänger?

Es ist wie schwimmen lernen. Als ich das erste Mal ins Wasser ging, lief Wasser in meine Nase, in die Augen, ich ging unter ... Man muss den Arm- und Beinschlag exakt und effizient ausführen, um über Wasser zu bleiben. Ähnlich schwierig ist es, die Rollen des Anzugs zu kontrollieren. Manche Bewegungen sind gegen den Instinkt: Wenn ich mich zum Beispiel auf die linke Seite lehne, fährt mein Fuß- und Beinsystem nach rechts. Man muss sich selbst umprogrammieren.

Was war Ihr bislang bester Ritt?

Da gibt es viele. Sehr stark ist es, eine Bobbahn hinunterzurasen – extrem schnell und fast unmöglich, anzuhalten.

Wie schnell?

99,9 km/h. Die 100 habe ich leider nicht geknackt. In einer Bobbahn wirken unglaubliche Gravitationskräfte. Durch den Druck fühlt man sich wie ein Jet-Pilot. Ebenso schön sind lange Passtraßen, etwa der Furkapass in der Schweiz. Es ist einfach wunderbar, wie sich die Landschaft von Kurve zu Kurve verändert von der Gletscherzone bis ins Tal. Es ist ein langes, intensives Cruisen.

Jean-Yves Blondeau in seinem Roller Suit.

Wie oft fahren Sie auf öffentlichen Straßen?

In Frankreich ziemlich häufig. Meine Werkstatt befindet sich in meinem Elternhaus, rund 20 Kilometer von Annecy entfernt. Wenn ich trainieren will, habe ich wunderbare Berge direkt vor der Tür.

Sind Sie schon in eine Verkehrskontrolle geraten?

Ja, aber es gibt kein Gesetz, das Roll-Suit-Fahren verbieten würde. Es hängt ein wenig von der Laune des Polizisten ab und davon, wie ich erkläre, was ich tue. Ich halte mich an alle Verkehrsregeln und erläutere meinen Anzug. Meistens ist es okay. Da ich auf engen Passstraßen genauso schnell unterwegs bin wie die Autos, stelle ich kein Verkehrshindernis dar. Die meiste Zeit trainiere ich allerdings in einem Inlineskate-Club, um neue Moves einzustudieren. Es ist erstaunlich, aber selbst mit 45 Jahren entdecke ich noch neue Möglichkeiten der Bewegung.

Hatten Sie schon Unfälle?

Das passiert, wie es auch einem Radfahrer passieren kann. Aber ich bin in meinem Anzug viel besser geschützt. Mein gesamter Körper ist eingepackt. Nach einem Crash stehe ich normalerweise einfach wieder au, fast ohne Schrammen. 

Was war Ihre schönste Erfahrung im Showgeschäft?

Vielleicht mein erster Auftrag in Hollywood. Für den Film „Der Ja-Sager“ mit Jim Carrey in der Hauptrolle war ich als Stunt-Trainer engagiert. Ich wurde mit einer Limousine abgeholt und zum Flughafen gefahren, in L. A. hatte ich dann ein Büro in den Warner-Studios. Es war toll. Später arbeitete ich auch mit Jackie Chan zusammen für den Film „CZ12“. Wir trafen uns in seiner privaten Bar und machten Gymnastik am Boden, um an einer Szene zu feilen. Es war sehr kreativ und lustig – im Film ist die Sequenz spektakulär geworden.

Wie kamen Sie darauf, Ihre Anzüge mit Emblemen von RATHGEBER zu bekleben?

Seit dem ersten Prototyp von 1994 habe ich das Material, die Handhabung, die Technik kontinuierlich verbessert. Jedes Carbon-Teil lasse ich aufwendig herstellen. Ein markanter Schriftzug wertet die Anzüge zusätzlich auf. Die Embleme müssen kratzfest sein, außerdem widerstandsfähig gegen Hitze, Kälte, Regen. Ich wusste, dass RATHGEBER sehr hochwertig auch für den Automobilbau produziert. Ich entschied mich für eine Variante aus biegsamem Kunststoff, die sich an die Wölbungen des Anzugs anpasst. Für den Dreh mit Jackie Chan hatte ich gleich zehn der selbstklebenden RATHGEBER-Sticker dabei – Hollywood-Stuntmen lieben es, alles zu zerstören. Und ich wollte vorbereitet sein.

Was kostet einer Ihrer Anzüge?

Das Minimum für Arme und Beine rund 2000 Euro. Das komplette Set kostet inklusive der Möglichkeit, auf dem Rücken zu rollen, 4000 Euro.

Produzieren Sie Ihre Erfindung schon in Serie?

Nein, noch entstehen die Anzüge Stück für Stück in meiner Werkstatt. Aber die Nachfrage wächst, und ich spreche mit verschiedenen Herstellern. Ich musste schon einmal die Teilnahme an einer olympischen Eröffnungsfeier absagen, weil ich nicht genügend Anzüge für das Show-Team zur Verfügung stellen konnte. Gerade verhandle ich mit einer südkoreanischen Boygroup: Sie würden meine Anzüge gern für einen Musik-Clip verwenden. Das bedeutet fünf perfekte Roll Suits für den Videodreh plus ein paar fürs Training. Viel Arbeit – aber ich liebe es.

Weitere Informationen zu Jean-Yves Blondeau und seinen Anzügen unter www.buggy-rollin.com