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Christa Schrägle und Andreas Schrägle | © RATHGEBER GmbH & Co. KG
Andreas Schrägle | © RATHGEBER GmbH & Co. KG
GESCHÄFTSFÜHRER
Andreas Schrägle

Der Diplom-Wirtschaftsingenieur führt die RATHGEBER-Firmengruppe in dritter Generation.

Christa Schrägle | © RATHGEBER GmbH & Co. KG
SENIOR-CHEFIN
Christa Schrägle

Für die Tochter des Firmengründers und ehemalige Geschäftsführerin ist das Unternehmen noch immer eine Herzensangelegenheit.

MENSCHEN

„Wir müssen Werte vorleben, nicht predigen.“

RATHGEBER-Geschäftsführer Andreas Schrägle und seine Mutter Christa Schrägle über die Geschichte und Firmenphilosophie ihres Familienunternehmens.

Herr Schrägle, Sie leiten RATHGEBER in dritter Generation. Hatten Sie je eine andere Wahl?

Andreas Schrägle: Als Unternehmerkind wachsen sie natürlich in diese Rolle hinein. Aber es gibt auch genügend Beispiele, in denen der Generationswechsel in einem Familienunternehmen misslingt.

Frau Schrägle, Ihr Vater hat RATHGEBER 1948 gegründet. In den 1960er-Jahren übernahmen Sie und Ihr Mann die Firma. Wären Sie enttäuscht gewesen, wenn die Tradition nicht fortbestanden hätte?

Christa Schrägle: Wir haben Andreas nicht gedrängt, das sollten Eltern vermeiden. Aber zum Glück strahlt es aus, wenn die Eltern davon begeistert sind, was sie tun. Natürlich war die Firma immer Teil unseres Lebens, auch des Familienlebens.

Andreas Schrägle: Ich fand unsere Produkte immer schon faszinierend. Kinder lieben Aufkleber! Und auch die anderen Produkte fand ich immer toll. Diese Begeisterung habe ich bis heute.

Wie muss man sich ein Familienfest bei Ihnen vorstellen – wird daraus automatisch ein Geschäftsmeeting?

Christa Schrägle: Nein, um Gottes willen, das kann man ja den Kindern nicht antun. Aber natürlich haben mein Mann und ich früher auch Firmenthemen mit nach Hause genommen.

Andreas Schrägle: Ich kann mich an eine komische Situation erinnern: Es war Heiligabend, kurz vor dem Umzug der gesamten Produktion in Mindelheim. Wir versuchten, Weihnachten zu feiern und alles andere außen vor zu lassen. Nach einer halben Stunde waren wir bei Transportzeiten, der Logistik und den Aufgaben der kommenden Wochen. Aber ansonsten sehen wir natürlich immer zu, dass es auch andere Themen gibt.

Wann war Ihnen klar, dass Ihr Sohn einmal Geschäftsführer wird?

Christa Schrägle: Erst gegen Ende seines Wirtschaftsingenieur-Studiums. Da haben wir ihn gefragt, was er denn eigentlich nach der Diplomarbeit machen will. Wir hatten das große Glück, dass unser einziges Kind die Firma weiterentwickeln wollte.

Andreas Schrägle: Ursprünglich hatte ich vor, zuerst etwas anderes kennenzulernen. Direkt von der Uni in die Firmenleitung, das wäre nicht gut gewesen. Dafür waren wir damals schon zu groß.

Christa Schrägle: Zum Glück waren wir Anfang der 1990er-Jahre auf der Suche nach einem weiteren Produktionsstandort, um unsere Kapazitäten auszubauen. Wir entschieden uns für Tschechien, was für uns perfekt war – das Land hat traditionell viel Industrie, sehr gute Techniker und Ingenieure. Wir übernahmen in Bystřice nad Pernštejnem einen kleinen Siebdrucker mit zehn Angestellten und ein paar Handmaschinen. Es war dann Andreas' Aufgabe, den Standort auszubauen, ohne direkt bei den Eltern lernen zu müssen.

"Wir können bewusst Entscheidungen treffen, die weit in die Zukunft gerichtet sind. Quartalsdenken ist uns völlig fremd."

Zunächst anderswo etwas aufbauen, um sich zu beweisen – ist der Plan aufgegangen

Andreas Schrägle: Ja, es war im Prinzip etwas Externes, weit weg von daheim. In den ersten zwei Jahren haben wir in unserem kleinen Team alles selbst gemacht: vom Personalgespräch bis zum Plotterschneiden und Verpacken mitten in der Nacht. Ich habe damals Pakete zur Post gebracht, die Alarmanlage mit eingebaut und nahezu alle Kalkulationen gerechnet. Damals habe ich die Komplexität des Ganzen erfasst. Bis heute kenne ich die meisten Arbeitsgänge im Unternehmen genau. Und mittlerweile haben wir auch in Bystřice ca. 120 Mitarbeiter.

Christa Schrägle: Was wir damals gesehen haben, war, dass du es gern gemacht hast. Und das ist die Voraussetzung dafür, dass man etwas gut macht.

Andreas Schrägle: Um zu lernen, ist ein wesentlicher Faktor, dass man Vertrauen bekommt und auch Fehler machen darf. Gleichzeitig hatte ich immer die Möglichkeit, Rat von meinen Eltern einzuholen.

Lässt sich sagen, dass Sie Dinge eher vorlebten, anstatt sie vorzuschreiben?

Christa Schrägle: Das war sicher so, wenn auch unbewusst. Ich denke, wir müssen Werte vorleben, nicht predigen.

Andreas Schrägle: Mit dieser Wertevermittlung, unbewusst oder bewusst, erreicht man viel. Bis in die Firma. Wie wir uns RATHGEBER wünschen, ist stark von persönlichen Werten getrieben. Unbewusst suchen wir auch unsere Mitarbeiter danach aus: Da geht es nicht nur um Qualifikation. Wir wollen, dass Bewerber zur RATHGEBER-Firmenphilosophie passen.

Den Grundstein des Unternehmens legte einst Anton Rathgeber. Welche Erinnerungen haben Sie an ihn?

Christa Schrägle: Er war am liebsten in den Bergen unterwegs und hatte keine Zeit zum Heiraten. Als ich mitten im Krieg auf die Welt kam, war er bereits 41 Jahre alt. Zuvor hatte er in einem Großhandel für Papieretiketten gelernt. Die musste man noch wie Briefmarken auf der Rückseite anfeuchten.

"Wir können bewusst Entscheidungen treffen, die weit in die Zukunft gerichtet sind. Quartalsdenken ist uns völlig fremd."

Was geschah nach dem Krieg?

Christa Schrägle: Er begann 1948, unter anderem mit Holzspielzeug, Bierkrügen, Notizblöcken und Musikinstrumenten zu handeln. Er mietete sich einen kleinen Laster, beschaffte Waren im Bayerischen Wald und verkaufte an die Münchner Kaufhäuser. Auch Schiebeetiketten stehen schon im dem ersten Auftragsbuch, das wir bis heute bei uns aufbewahren. Mit den Etiketten hatte er die richtige Idee. Bald teilte er sich einen VW Käfer mit einem Vertreter für den bayerischen Raum. Es folgten Vertreter in Würzburg, Hannover und Köln.

Wie verlief der Übergang zu Ihnen?

Christa Schrägle: Wenn mein Mann und ich dieses kleine Unternehmen nicht übernommen hätten, wäre mein Vater wahnsinnig enttäuscht gewesen. Es gab keine Fragen, alles andere wäre einfach unvorstellbar gewesen. Mit 65 ging mein Vater in Rente. Und ich spürte, dass wir als Großhändler nicht weiter kommen würden. Für mich war klar, dass wir eine eigene Produktion brauchten. Mein Vater wollte das nie, er wollte Kaufmann sein und nichts anderes.

Welcher Wert ist für RATHGEBER wichtiger: Tradition oder Innovation?

Andreas Schrägle: Beides ist wichtig, das Verhältnis muss ausgewogen sein. Zu viel Tradition würde uns ausbremsen, zu viel Innovation überfordern. Der entscheidende Faktor für Innovationen sind unsere Mitarbeiter. Wir haben wunderbare Menschen hier, die vieles autark entscheiden, einen tollen Job machen und die Firma jeden Tag weiterentwickeln. Dabei helfen Traditionen und Werte, die wir gemeinsam leben. Man braucht ein stabiles Fundament, um Neues zu wagen. Und das tun wir. Wir hinterfragen uns ständig. Ich denke, ein Unternehmer muss ein unruhiger Typ sein, der sich nicht auf Erfolgen ausruht.

Christa Schrägle: Sich immer wieder neu zu erfinden, war schon früher ein Thema. Es ist nur drängender geworden, weil Veränderungen heute schneller passieren.

Sie sind weltweit aktiv, produzieren in Deutschland und Tschechien. Das RATHGEBER-Logo aber zeigt die Skyline von München und Sie unterstützen die Volleyballer des TSV Unterhaching. Wie wichtig ist Ihnen die lokale Verankerung?

Andreas Schrägle: Sehr wichtig. Hier ist unsere Basis, das persönliche Umfeld meiner Familie. Ich habe den unbedingten Ehrgeiz, dass wir einen deutschen Produktionsstandort erhalten, fördern und ausbauen. Wir haben auch das Glück, dass wir in unserer Branche zwar schon, aber nicht ständig im direkten Konkurrenzkampf mit asiatischen Anbietern stehen. Bei dem, was wir tun, gehören sehr viel Betreuung und Beratung dazu. Das braucht Nähe.

Christa Schrägle stärkt ihrem Sohn den Rücken und blickt mit Stolz auf die Entwicklung der Firma. | © RATHGEBER GmbH & Co. KG Christa Schrägle stärkt ihrem Sohn den Rücken und blickt mit Stolz auf die Entwicklung der Firma.

Ein Großkonzern würde wahrscheinlich trotzdem nach Billigst-Standorten suchen. Können Sie sich als Familienunternehmen Nähe eher leisten?

Andreas Schrägle: Ja. Bei uns sind kurzfristige Gewinne nicht das Entscheidende. Natürlich müssen wir zwingend Geld verdienen und rentabel sein. Aber es gibt keine Investoren oder Banken bei RATHGEBER, vor denen wir uns rechtfertigen müssten. Wir können bewusst Entscheidungen treffen, die weit in die Zukunft gerichtet sind. Quartalsdenken ist uns völlig fremd. Uns geht es nicht um schnelle Deals, uns geht es um langfristige Geschäftsmodelle und einen beständigen Kundenstamm.

Sie sind das einzige Unternehmen Ihrer Branche, das klimaneutral produziert. Wieso ist Ihnen Nachhaltigkeit wichtig?

Andreas Schrägle: Ich kann Ihnen nicht genau sagen, woher das kommt. Vielleicht hängt es mit unserer langfristigen Denkweise zusammen. Wir wollen nicht aus Profitgier Dinge tun, die unsere Welt kaputt machen. Wir denken an die nächsten Generationen. Es ist frustrierend zu sehen, wie wenig die Politik bewegt, wenn es um Umweltschutz geht. Ich glaube, da muss jeder Einzelne etwas tun, um unseren Planeten als Erbe zu erhalten.

Ist es teuer, sorgsam mit Ressourcen umzugehen?

Andreas Schrägle: Man muss es schon wollen. Aber Umweltschutz ist kein Wirtschaftskiller. Wenn wir unsere Standorte energieeffizient machen, Ressourceneffizienz leben, unser Brauchwasser wiederverwerten und die Gebäude perfekt dämmen, sparen wir damit langfristig Geld. Dazu kommt ein Effekt, den wir überhaupt nicht eingeplant hatten: Vor allem jüngere Bewerber schauen sich sehr genau an, wo sie arbeiten wollen. Das Argument, dass wir ein klimaneutrales Unternehmen sind, überzeugt viele gute Fachkräfte, die wir unbedingt brauchen.

Der Wettbewerb um die besten Köpfe ist hart. Wie können Sie gegen große Unternehmen bestehen?

Andreas Schrägle: Es gibt einen Trend zum Mittelstand. Ein ausschlaggebender Faktor ist, dass unsere Mitarbeiter hier wirklich etwas bewegen können. Bei uns sitzt niemand irgendwo in einer Position und macht tagein, tagaus nahezu das Gleiche. Unsere Mitarbeiter können gestalten, sich einbringen, kreativ sein, wenn sie das so wollen. Jeder trägt Verantwortung. Dazu kommen der persönliche Umgang und kurze Entscheidungswege. Vielen Bewerbern, die sich für uns entscheiden, ist das wichtiger als ein dickerer Dienstwagen.

Christa Schrägle: Wir haben etliche Mitarbeiter, die seit Jahrzehnten im Unternehmen sind. Bei einigen ist es mit der Familientradition fast wie in der Geschäftsführung: Da gibt es junge Mitarbeiter, deren Väter, Onkel oder Tanten schon hier waren. Das prägt auch die Atmosphäre im Unternehmen.

Wie wichtig ist Ihnen Vielfalt?

Andreas Schrägle: Sie ist für uns ganz entscheidend. Wir haben jüngere und ältere Mitarbeiter aus verschiedenen Nationen, Männer und Frauen, Kollegen mit Doktortitel und solche, die bei uns angelernt wurden. Wir profitieren von dieser Vielfalt. Denn unsere Produkte, die Branchen, in denen wir tätig sind, unsere Herstellungsverfahren und unsere Kunden sind extrem unterschiedlich. Wir brauchen einen guten Mix – zum Beispiel die Erfahrung der älteren Mitarbeiter und den Vorwärtsdrang der jüngeren. Das macht uns stark.

Rund die Hälfte Ihrer Mitarbeiter sind Frauen – ist Gleichberechtigung ein Wert, der schon Ihnen als Chefin wichtig war?

Christa Schrägle: Dass wir gezielt Frauen fördern, ist erst seit gut zehn Jahren so. Früher hat man fast automatisch an einen Mann gedacht, wenn es um Führungspositionen ging. Erst nach und nach hatten wir immer mehr Mitarbeiterinnen auch in Leitungsfunktionen. Und Frauen können das oft extrem gut.

Andreas Schrägle: Ich habe ja mit meiner Frau Andrea das große Glück, dass wir die Firma wieder gemeinsam als Ehepaar führen. Das ist schon etwas Besonderes. Ein Familienunternehmen muss ja nicht zwangsläufig auch ein Ehepartner-Unternehmen sein. Wir empfinden das als enormes Glück.

Wie sind die Aufgaben verteilt?

Andreas Schrägle: Ähnlich wie schon bei meinen Eltern. Meine Frau kümmert sich eher um die Personalentwicklung, die innerbetriebliche Logistik und IT-Prozesse. Ich mehr um die Produktion und den Vertrieb. Der Vorteil ist sicher, dass wir uns auf einer sehr vertrauten Ebene begegnen. Der Nachteil, dass der Job nie ganz im Büro bleibt.

Wenn Sie und Ihr Mann heute zunehmend von außen auf RATHGEBER schauen: Gefällt Ihnen, was Sie sehen?

Christa Schrägle: Ja, es ist wunderbar. Wir sind sehr glücklich. Und das, obwohl wir sehr kritisch sind und uns alles genau ansehen.

Andreas Schrägle: Der Erfahrungsschatz und das Detailwissen, das meine Mutter und mein Vater haben, ist ungeheuer wertvoll. Davon profitieren wir bis heute.

Eine ähnliche Frage wie zu Beginn: Herr Schrägle, haben Ihre Kinder überhaupt eine andere Wahl, als das Unternehmen eines Tages in vierter Generation zu führen?

Andreas Schrägle: Irgendwann wird sich sicher die Frage stellen, welche Ausbildung die richtige ist und ob unsere Kinder in das Unternehmen hineinwachsen wollen. Noch können wir das nicht beantworten. Meine jüngere Tochter, sie ist 12, hat mich gestern Abend gefragt, wie mein Tag war. Und natürlich erzähle ich dann all die spannenden Dinge, die passieren. Auch das Anstrengende wird nicht verheimlicht. Meine Frau und ich machen es genauso, wie ich es als Kind erlebt habe.